sa, 15.mai 2004 22uhr

evan parker trio
( evan parker zum 60. geburtstag)

evan parker: tenor sax, soprano sax
barry guy: double bass
paul lytton: drums percussion

evan parker auf mehr als 150 oder vielleicht sind es mittlerweile schon annähernd 200 tonträgern ist einer der wichtigsten europäischen improvisatoren der gegenwartsmusik. nicht nur dass er das saxophonspiels eines john coltrane in ungeahnte höhen transponierte, hat er auch schon seit jahrzehnten eine komplett eigene abstrahierende form auf seinen beiden instrumenten entwickelt. ursprünglich als duo mit paul lytton konzipiert, wurde es ihm aber schnell klar, dass die trio konstellation und zwar mit keinem anderen als mit barry guy(direktor und komponist des london jazz composer orchestras) am kontrabass die beste lösung für ein hochexplosives "small ensemble" sein könnte. nun gibt es dieses grandiose trio seit mehr als 20 jahren und die spiel- und experimentierfreude ist den drei grandseigneurs der frei-improvisierten musik geblieben

Die Schrift und der Klang. ( von Bert Noglik)

Die Musik Evan Parkers lässt sich letztlich nur dem beschreiben, der sie schon einmal gehört hat. Die Aufzeichnung –– die klangliche ebenso wie die verbale oder graphische –– vermag das Phänomen zu verdeutlichen, einholen kann sie es nicht. Evan Parker bekennt sich zur musikalischen Improvisation. Was er spielt, entsteht im Prozess des Musizierens, folgt keiner zuvor fixierten Vorstellung und lässt sich auch nachträglich nicht so notieren, dass es für ihn oder andere reproduzierbar wäre.

Evan Parker, geboren am 5. April 1944 in Bristol, studierte zunächst Botanik in Birmingham. Fasziniert von den damals neuen Ausdrucksmööglichkeiten des Jazz, brach er das Studium ab und schloss sich 1967 in London dem Spontaneous Music Ensemble um den Schlagzeuger John Stevens an. Gemeinsam mit Musikern wie John Stevens, Kenny Wheeler, Paul Rutherford, Trevor Watts und Derek Bailey zählt er zur „ersten Generation des britischen Free Jazz““. Evan Parker hat sein Spiel in einer Vielzahl unterschiedlicher Duo-, Trio- und Gruppenkonstellationen entwickelt. Er zählt zum „Stamm“ grosser Kollektive improvisierender Musiker wie dem „Globe Unity Orchestra“ um den Pianisten Alexander von Schlippenbach und dem „London Jazz Compsers Orchestra“ um den Bassisten Barry Guy. Zu den Konstanten im Schaffen des Saxophonisten zählen das Trio mit Barry Guy und dem Schlagzeuger Paul Lytton sowie das mit Alexander von Schlippenbach und dem Perkussionisten Paul Lovens. Zwei über viele Jahre zusammen geschweisste Improvisationskollektive, die sich nicht trotz sondern aufgrund ihrer Dauerhaftigkeit in immer neue Spielverlääufe stüürzen. So, wie der Unterschied zwischen den beiden Trios lässt sich auch der Zugewinn von Innovation und Qualität nur annähernd mit Worten beschreiben. Wer die Musik kennt oder kennen lernt, kann ihn hören. Und die Aufregung, das Aufregende besteht in den klanglich-rhythmischen Nuancierungen, im Impetus und im Detail. Komplementär zu den gruppendynamischen Spielsituationen arbeitet Evan Parker im Alleingang, als Solist. Muezzin und Klangforscher, völlig konzentriert auf das Sopransaxophon, diesem nicht nur Töne einer Zwitschermaschine, sondern auch Sounds fast schon „jenseits des Hörbaren“ entlockend, gleichermassen entrückt und konzentriert, mit Hingabe und Intellekt. Wer sich wie Evan Parker füür die Transzendenz der Klänge interessiert (ohne deshalb einer Transzendentalphilosophie oder spirituellen Lehre anzuhäängen) gerät - bereits auf rein akustischer Ebene –– relativ bald auch in die Nähe der elektronisch produzierten beziehungsweise modifizierten Klänge. Bereits Ende der 60er-Jahre arbeitete er in der Gruppe „Music Improvisation Company“ mit dem Elektronikspezialisten Hugh Davies zusammen, gab es Berührungspunkte zum britischen Ensemble AMM, später entwickelten sich Kontakte zu Frederic Rzewski, Alvin Curran und dem musikalische Forschungen mit Computern anstellenden Posaunisten George Lewis. Mit seinem Album „Process And Reality“ von 1991 dokumentierte Evan Parker erstmals selbst einen kreativen Umgang mit der Studiotechnik. Zwei Musiker, mit denen er häufig spielte –– der Geiger Phil Wachsmann und der Perkussionist Paul Lytton –– nutzten seit langem, ergänzend zum akustischen Spiel auch die Möglichkeiten von Live-Electronics. Als Evan Parker sein Quartett mit Phil Wachsmann, Paul Lytton und Barry Guy durch die Elektroniker Walter Prati und Marco Vecchi (später auch durch Lawrence Casserley und weitere) ergänzte, entstand das „Electro-Acoustic Ensemble“. In der Überlagerung, Verdichtung, Ergänzung und Entgegensetzung von akustisch gespielter Musik, Live-Electronics, Computertechnologie und Sound Processing kommt es zu seltsam faszinierenden Klangbildern, angesiedelt im Bereich einer „neuen“ Neuen Musik und einer aus dem Jazz herausgewachsenen musikalischen Improvisation. Diese Randexistenz im etablierten Musikbetrieb schwingt als Assoziation mit, liest man den Titel des erstem 1996 mit dem Evan Parker Electro-Acoustic Ensemble eingespielten Albums: „Towards The Margin“. Evan Parker liebt die Mehrdeutigkeit und die produktiven Verunsicherung. Bereits der Name des Ensembles deutet auf ein Vexierbild, ein elektro-akustisches. Die schon in frühen Jahren intendierte Integration des Elektronischen wird durch die technologischen Weiterentwicklungen und die diese nutzenden neuen Musikerpersöönlichkeiten vorangetrieben. Weiter beschääftigt sich Evan Parker mit Phänomenen der Ambivalenz. So sprach er einmal von seinem Bemühen, „die verschiedenen Konzepte von Geschwindigkeit in einer hochintegrierten Struktur miteinander so in Beziehung zu bringen, dass schnell und langsam simultan auftreten können, so dass man meine Musik sowohl als schnell als auch als langsam empfinden kann.““ Neben den elektro-akustischen Abenteuern laufen die mit improvisatorischer Leidenschaft betriebenen Langzeitprojekte wie Evan Parkers Trio mit Alexander von Schlippenbach und Paul Lovens. Auch Trio-Begegnungen mit „Spontan-Komponisten“ wie Paul Bley und Barre Phillips, in wundersam interaktivem und dabei geradezu meditativ anmutendem Spiel dokumentiert mit einem Album, das im Kloster Sankt Gerold entstanden ist. Evan Parker schreitet fort in der Erforschung des Klanges –– mit einer geradezu naturwissenschaftlich anmutenden Besessenheit und mit einer Ahnung davon, dass sich aus jeder Erforschten des zuvor Unbekannten neue Fragestellungen ergeben. Als ich ihn mit der Befürchtung konfrontiere, Free Jazz könne zum Stil degenerieren, widerspricht er aus eigener Praxis. „Free Jazz ist keine historische Phase, sondern eine lebendige Methode. Solange diese Methode benutzt wird, ist sie lebendig.“ Bert Noglik