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W A N D E L W E I S E R    I N    R E S I D E N C E

 

  DIE WANDELWEISER – GRUPPE  

  die im jahr 1992 von burkhard schlothauer in zusammenarbeit mit antoine beuger gegründete EDITION WANDELWEISER verlegt die werke von derzeit elf komponisten und einer komponistin im alter von anfang 30 bis ende 50. die einzelnen mitglieder der gruppe, zu denen auch der österreicher RADU MALFATTI zählt, stammen aus verschiedenen europäischen ländern, aus japan, brasilien und den USA. sie alle haben gemeinsame wurzeln in der experimentellen avantgarde (john cage, christian wolff, alvin lucier, ...) und empfinden mehr oder weniger die eurozentrale – chromatisch und seriell orientierte – neue musik einfach "alt" und nicht "neu". da die gruppe von gegenseitiger neugier und der lust am künstlerischen diskurs geprägt ist, rückte neben der verlegerischen tätigkeit bald die realisierung einer völlig neuen konzertkonzeption in den vordergrund.

  dass künstler und künstlerinnen zusammenarbeiten, deren fragestellungen ähnlich gelagert sind, ist nicht neu. man denke beispielsweise an DIE BRÜCKE oder die gruppe DER BLAUE REITER. und auch im musikalischen bereich kann hier auf genügend initiativen verwiesen werden. so wurden franz schuberts lieder – von ihm selbst am klavier begleitet – "einem kleinen, aber entzückten kreise" vorgetragen, dessen treffen als SCHUBERTIADEN legende geworden sind. und manches werk der neuen wiener schule wäre ohne SCHÖNBERGS VEREIN FÜR MUSIKALISCHE PRIVATAUFFÜHRUNGEN wohl kaum zur uraufführung gelangt (zumindest im damaligen öffentlichen wiener konzertleben).

  ... IM BURGENLAND   

  mit ähnlicher motivation versuchten wir, der musik der wandelweiser–gruppe einen rahmen zu geben, der ihren besonderheiten rechnung trägt. so sind etwa viele wandelweiser–kompositionen viel zu lang, um im rahmen herkömmlicher konzerte platz zu finden. andere leben geradezu aus dem prozess, in dem sie entstehen.

  mit den in den letzten beiden jahren organisierten musikreihen WANDELWEISER IM BURGENLAND schufen wir erstmals im burgendländischen konzertleben ein forum für diese doch recht ausgefallene klangkunst. das diesjährige konzept WANDELWEISER IN RESIDENCE :: KLANGRAUM FRIEDRICHSHOF geht einen schritt weiter: mehrere komponisten und musiker leben und arbeiten eine woche zusammen auf dem friedrichshof und gestalten allabendlich ein konzert. diese werkstatt–atmosphäre führt zu einer intensiven auseinandersetzung zwischen den "artists in residence" sowie zu einer wachsenden nähe zwischen publikum und musikschaffenden.


raum – zeit – menschen – stille – klang – ruhe
zeit ist hintereinander
raum ist nebeneinander
menschen sind durcheinander
ich mag stille nicht
ich mag den klang (wenn er anfängt, wenn er dauert und wenn er aufhört)
stille existiert nicht, wenn der eine klang aufhört, setzt der andere klang ein
ich mag die ruhe

  radu malfatti

 

 

  Z E I T    F Ü R    R U H I G E    M U S I K  

  tatsächlich beginnt das hören von WANDELWEISER–MUSIK mit der entscheidung, sich zeit zu nehmen; sich einen freiraum zu setzen, in dem unerwartete erlebnisse die zeit haben, in einen einzusickern, und in dem wir zu einer "völlig neuen erfahrung gegenüber unserem konzept von zeit und gedächtnis" gelangen können. noch dazu ist die meiste WANDELWEISER–MUSIK leise und antwortet auf die informationsdichte unserer urbanen umwelt mit einer konsequent vereinfachten und "entbegrifflichten" musikalischen sprache.

  dazu radu malfatti: "... es ist richtig, dass ich mich als als reaktion auf die akustische umweltverschmutzung zur zeit mit der sogenannten leisen musik beschäftige, die aber nicht meditativ oder gar religiös sein sollte, sondern eher eine fröhliche gelassenheit darstellen will. leise heisst aber auch nicht ausschließlich an der hörgrenzschwelle, sondern bedeutet eine ruhig dahinfließende musik, frei von krampfhaft aus dem 19. jahrhundert herübergezerrten dramatischem auf– bzw. abbau. leise will also nicht mit pastell–klangfarben die gehirne der konsumenten verkleben. auch bilder von marcia hafif oder ida maibach sind leise, auch wenn sie manchmal laute farben verwenden. ich kann mir folglich auch eine ruhige musik mit lauten modulen gut vorstellen, wenn nur genügend pausen vorkommen ..."

  WANDELWEISER–MUSIK thematisiert auch die aktive leistung des schweigens und den nicht durch "pause" ersetzbaren begriff der stille, selbst wenn sich die gruppe auf keinen gemeinsamen nenner einigen kann.

  STILLE IST ...   

  ... "ein im akustischen sinne auf unserem planeten nicht wirklich existierendes phänomen. vielleicht ist eher ereignisarmut gemeint (wenn ich aufs land fahre finde ich dort 'stille', geringere dichte von energien, von körpern, die sich bewegen, druckwellen produzieren, ...)", so die definition von burkhard schlothauer.

  für carlo inderhees gehört das wort "stille" in die hitliste der durch abnutzung bedeutungslos gewordenen wörter – ähnlich wie das wort "ganzheitlich". aber wenn schon von stille die rede sein soll, dann möchte er es als eine innere ruhe verstanden haben, die man auch dann – oder gerade dann bewahrt, wenn die situation um einen herum alles andere als ruhig ist. und er weist darauf hin, dass in so einem fall die herstellung von stille im bewusstsein knallharte arbeit ist.


R A U M    F Ü R    G E N R E Ü B E R G R E I F E N D E S    A R B E I T E N 

  die WANDELWEISER–GRUPPE ist von der bildenden kunst, von literatur, performance, video–kunst oder philosophie inspiriert. um den ansatz ihrer kompositorischen arbeit zu veranschaulichen, kann auf meister eckhart, die chinesische ästhetik oder das buch "différence et répétition" von gilles deleuze verwiesen werden. oder auf bildende künstler und künstlerinnen: auf die amerikanische malerin marcia hafif beispielsweise, deren monochrome bilder die farbe selbst thematisieren. oder auf die schweizer künstlerin ida maibach, deren regelmäßige strichmuster auf das differenzierte spiel der variationen innerhalb des scheinbar gleichförmigen verweisen (und deren werke sich auf WANDELWEISER–CDs finden).

einzelne mitglieder der WANDELWEISER–GRUPPE beschäftigen sich auch selbst mit anderen medien und ausdrucksformen und sind in genreübergreifenden projekten und konzepten involviert. in der auseinandersetzung mit bildenden und darstellenden künstlern und künstlerinnen werden projekte initiiert, in denen räumlich–visuelle und klangliche wahrnehmungsweisen gleichzeitig vorgestellt werden. die tage (und nächte) auf dem friedrichshof sollen ausgenutzt werden für eine zusammenarbeit mit dem bildenden künstler christoph nicolaus und dem schriftsteller gottfried wanner, in deren arbeiten es – analog den musikalischen werken – um ein sich langsam wandelndes erleben von raum und zeit geht.  

die monodisten wollten die musik als einen spiegel für den menschen – und ein spiegel sollte möglichst plan sein. aber ihre zeitgenossen? – aus dem blickwinkel der hohen kunst der vokalpolyphonie wirkte die musik der monodisten schrecklich eintönig und fade. vielleicht hat manch ein kritiker sogar noch über einen monteverdi gesagt: "sowas könnte meine vierjährige tochter auch schreiben".

  doris kösterke in einer sendung für SWR 2 – musik spezial – JetztMusik

 

 

  K U N S T B E G R I F F    U N D    W A H R N E H M U N G   

  die radikale abkehr von einem musikalischen werkbegriff hin zu ereignissen, wo der schwerpunkt des kunstwerks in der wahrnehmung liegt, erläuterte carlo inderhees folgendermaßen: "wenn ich eine struktur baue, die klimax und antiklimax hat, [...] denn – sagen wir mal: spekuliert der komponist eigentlich darauf, dass die wahrnehmung an dieser struktur sich festmacht. und wenn ich einen zustand schaffe, wo eine stunde lang immer der gleiche klang erklingt und der klang auch die gleiche dauer hat, wie die danach folgende pause, dann heißt das eigentlich erst mal, dass sich, objektiv gesehen, da nichts verändert. deswegen gibt es da ja auch schwierigkeiten, dass eben kollegen sagen: das ist keine komposition. grundsätzlich, ne? 'ne komposition, vom ästhetischen standpunkt her, braucht die differenz. und ich denke eben, dass – wenn sich objektiv von der komposition her nichts ändert, sich aber in jedem fall subjektiv von den wahnehmenden etwas verändert. das heißt: dass die differenz in einer komposition von der art und weise sich von allein herstellt. über das hören halt."

  WANDELWEISER–MUSIK ist nicht darauf aus, mit "geschwätzigkeit" zu punkten, denn letztlich unterscheiden sich viele werke der klassischen avantgarde und mtv–musik nur durch das material. sie bedient auch nicht den wunsch eines publikums, das schlicht unterhalten oder aus der alltäglichkeit entführt werden will, sondern wirft die hörenden mehr oder weniger auf sich selbst zurück: in der frage, wie man mit den ausgedehnten pausen umgeht; in der lust am zuhören, an einer gesteigerten aufmerksamkeit; oder auch in der freude, in sich zu hause sein. möglicherweise ereignet sich sehr, sehr viel – aber das spielt sich dann in einem selbst ab.

  das projekt WANDELWEISER IN RESIDENCE will räume schaffen, in denen die sinne unter sich sind, wo sie sich, untereinander dicht verwoben, aufmerksam und wachsam gegen die verödung, die unsere kulturelle umwelt uns aufzuzwingen scheint, wehren können. räume, in denen das ohr dem verschwinden des klanges nachspüren und in denen es weiter–hören kann, in denen konstanz und veränderung gleichzeitig und gleichberechtigt präsent sind und in denen eine individuelle sicht auf zeitverläufe möglich ist. räume, die nicht aus der sehnsucht der romantik nach flucht in eine gegenwelt der kunst entstehen, sondern durch die "die welt durchgeht".